Offener Brief: Coronavirus Impfverordnung – Schutz von Patient*innen gewährleisten

Sehr geehrter Herr Minister Spahn,

mit großem Respekt sehe ich, wie entschlossen und konsequent die Bundesregierung und die Landesregierungen Maßnahmen zur Kontrolle der Pandemie eingeleitet haben. Selbstverständlich hätte man, gerade retrospektiv, auch einiges anders und möglicherweise besser machen können, wie etwa den konsequenteren Schutz der Risikogruppen. Wir alle sind derzeit auch Teil eines lernenden Systems. Ohne Zweifel haben die politisch Verantwortlichen in Deutschland einen guten Job gemacht. Das verdient unsere Anerkennung und Unterstützung.

Von Beginn der Pandemie an war es unser Ziel, die Versorgung unserer Patient*innen aufrecht zu erhalten, ohne diese dadurch zu gefährden. Praxen dürfen keine Ansteckungsquelle für Patienten sein. Ein Patient, der eine Praxis aufsuchen muss, sollte das Vertrauen haben, dass hier die bestmöglichen Schutzmaßnahmen ergriffen worden sind. Hierzu gehört auch, dass der Patient davon ausgehen können muss, dass die Ärzte und Mitarbeiter nicht selbst das Virus übertragen. Die Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums vom 15. Dezember 2020 zur Impfreihenfolge ist diesbezüglich unscharf formuliert.

Appell 1: Schützen Sie die Erstkontakt-Helfer, damit diese die Versorgung insgesamt aufrechterhalten können!

Begründung:
Das 1×1 jeder Rettungskette besagt, dass Helfer zunächst sich selbst schützen müssen. Dies hat allein etwas mit der Rettungslogik zu tun. Das gilt bei der Sauerstoffversorgung im Flugzeug genauso wie bei einem Massenunfall auf der Autobahn. Im Fall des Infektionsschutzes muss diese Regel doppelt gelten: wenn die Helfer nach und nach ausfallen, und dies ist leider Realität in den meisten Krankenhäusern und Altenheimen, kann denen nicht mehr geholfen werden, die die Hilfe benötigen. Im Seuchenfall werden die Helfer zusätzlich zu „Brandbeschleunigern“. Von daher ist es richtig, dass Mitarbeiter*innen auf Intensivstationen und anderen Einrichtungen in die Kategorie mit der höchsten Impfpriorität fallen.

Appell 2: Schützen Sie die Patienten vor infizierten Mitarbeitern der Praxen und verhindern Sie, dass Praxen Infektionsquellen für SARS-CoV-2 werden!

Begründung:
Die Praxen sind aktuell eine lock-down-freie Zone mit einer hohen Kontaktfrequenz und damit im Infektionsfall ein Albtraum der Gesundheitsämter. Die meisten Patienten haben dabei, anders im privaten Raum, keine andere Wahl. Darunter fallen z.B. in unseren Fachgebieten gerade auch die vielen schwerkranken Patienten, ältere Patienten und Patienten mit Autoimmunkrankheiten.

Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass Ärzte und Mitarbeiter sich ausreichend in allen Alltagssituationen schützen können. Während der Untersuchung von vielen älteren Menschen mit Schwerhörigkeit und/oder Demenzen ist der Schutz durch Maske, Spuckschutz, Abstandsregeln und Lüftung nicht immer so konsequent möglich, wie es aus Gründen des Infektionsschutzes nötig wäre. Viele Patienten mit zum Teil schweren körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen sind nicht in der Lage, eine Maske fachgerecht zu tragen. Und da sind natürlich auch die Patienten, die gerade mal an der Rezeption, den Anschein eines korrekten Mund-Nasen-Schutzes herstellen, um ihn wenig später unter die Nase zu schieben, was man durchgängig kaum kontrollieren kann.

In der Rechtsverordnung fallen unter die Kategorie der hohen Priorität Einrichtungen mit einem hohen oder erhöhten Expositionsrisiko und unter die Kategorie mit erhöhter Priorität Einrichtungen mit niedrigen Expositionsrisiko (Labore) und ohne Betreuung von Patienten mit Verdacht auf Infektionskrankheiten. Diese Unterscheidung macht in der derzeitigen Pandemiesituation für die ambulante vertragsärztliche Versorgung keinen Sinn, bzw. bedarf der Klarstellung. Wir sehen im Quartal je nach Ausrichtung und Schwerpunkt etwa zwischen 600 und 1200 Patienten, geschätzt ein Drittel mit Angehörigen oder Betreuern. Zusätzlich machen wir Heim- und Hausbesuche und Notdienste. Alle Patienten hoffen, dass sie bei uns sicher sind: hochbetagte Patienten, demente Patienten, Patienten mit Risikoerkrankungen, Patienten mit Immuntherapien. Dabei spielt es nur nachrangig eine Rolle, ob wir Hausärzte oder Fachärzte sind. Zu uns kommen dieselben Patienten.

Bereits bei der ersten Welle bildeten die Praxen einen Schirm gegen zu viele Einweisungen in stationäre Behandlung. Fallen diese aus, suchen Patienten unmittelbar die Ambulanzen der Klinken auf. Die Konsequenzen muss ich nicht weiter ausmalen!

Als Berufsverbände haben wir von Beginn an als Maxime gesetzt, alle Patient*innen weiter zu versorgen und nicht in andere Sektoren zu verschieben:
https://neurologen-psychiater-corona-praxishilfe.info

Auch haben wir eine Kampagne initiiert, die sich an die Mitbürger*innen und die Selbstverantwortlichkeit jedes Einzelnen richtet:
https://spitzenverband-zns.org

Ich möchte mit aller Deutlichkeit betonen, dass es hier weder um Privilegien von Ärzten und Mitarbeitern noch um Fragen der Wertschätzung geht. Es geht allein um die Aufrechterhaltung der Patientenversorgung unter Wahrung des Patientenschutzes gerade der Alten, Schwerkranken, Multimorbiden und die vielen Patienten mit Immunerkrankungen, auch wenn diese uns nicht wegen Infektionskrankheiten aufsuchen.

Mich persönlich wird dies nicht betreffen: Ich schreibe Ihnen derzeit aus der Quarantäne heraus, weil ich kurz vor Weihnachten trotz höchster Schutzmaßnahmen an COVID-19 erkrankt bin. Die Infektion erfolgte im Rahmen meiner Berufsausübung. Ich setze mich dafür ein, dass auch die anderen Ärztinnen und Ärzte sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen medizinischen Bereichen mit Patientenkontakt frühzeitig einen Impfschutz bekommen, damit wir die Versorgung nicht nur sicherstellen können, sondern damit auch die Patienten sicher sind.

Ich wünsche Ihnen trotz der schwierigen Situation einen guten Start in ein hoffentlich besseres Jahr 2021.

Freundliche Grüße

Dr. Uwe Meier
Präsident Spitzenverband ZNS SpiZ
Vorsitzender Berufsverband Deutscher Neurologen BDN

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