Im deutschen Gesundheitswesen steht seit Jahren eine grundlegende Krankenhausreform auf der Agenda. Viele strukturelle Weichenstellungen der Gesundheitspolitik der letzten 30 Jahre haben zu entscheidenden Schwierigkeiten und auch Fehlentwicklungen im Krankenhaussektor geführt. Die unter dem Stichwort „Wettbewerb im Gesundheitswesen“ gestartete Veränderung unter Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ist mittlerweile zu einer Kommerzialisierung ausgeartet, die Gefahr läuft, wichtige Versorgungserfordernisse nicht mehr zu berücksichtigen.  Das war ursprünglich so wohl kaum vorhergesehen oder gar beabsichtigt. Ärztliche Diagnostik- und Behandlungspfade werden zunehmend dem Primat der Gewinnorientierung unterworfen. Dies hat tiefgreifende Auswirkungen, nicht zuletzt auch auf die Weiterbildung angehender Fachärzt:innen.

 

Wie hat sich die Landschaft in der Psychiatrie entwickelt?

Psychiatrische Institutsambulanz (PIA)

  • Dieses Thema ist in der Psychiatrie seit mehr als 25 Jahren etabliert.
  • Die Ursprünge liegen in dem 1986 eingeführten §118 im SGB V mit dem Gesetz zur Verbesserung der stationären und ambulanten Versorgung psychisch Kranker (PsychKVVerbG) – hier wurden ambulante Krankenhausleistungen für die o. g. Patientengruppe ermöglicht – zunächst nur an Unikliniken.
  • Seit 2000 ist die Erbringung der Leistung auch durch psychiatrische Fachkliniken und Fachabteilungen an Allgemeinkrankenhäusern möglich.
  • Seit 2015 ist auch eine Ermächtigung von psychosomatischen Institutsambulanzen (PsIA) möglich.
  • Schon vor 30 Jahren hätte man Regelungen zur Weiterentwicklung der ambulanten Versorgungsmöglichkeiten im Vertragsarzt-Bereich treffen können – dies erfolgte nicht. Vielmehr wurde der stationäre Versorgungsbereich über die damals sehr fest stehenden Versorgungsgrenzen zur ambulanten Behandlung ermächtigt.
  • Eine ähnliche Förderung der ambulanten Versorgungsmöglichkeiten im Vertragsarztbereich hat es seitdem nie gegeben.
  • Eine Ausnahme stellt die Sozialpsychiatrie-Vereinbarung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie dar (s.u.).
  • Die PIA-Versorgung in der Erwachsenenpsychiatrie und -psychotherapie hat sich mittlerweile in Deutschland flächendeckend entwickelt.

Stationsäquivalente Behandlung (StÄB)

  • Hierbei handelt es sich um Krankenhausbehandlung, die im Lebensumfeld des Patienten seit 01.01.2018 erbracht werden kann.
  • Sie stellt eine weitere Ermöglichung der Kliniktätigkeit im ambulanten Umfeld dar. StÄB ist ein Konstrukt ohne Nutzung der umfassenden Erfahrungen aus der ambulanten kassenärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung.

Während die stationäre Psychiatrie und Psychotherapie lange unter Psych-PV-Bedingungen verbleiben konnte, ist auch hier zunächst mit dem Pauschalierenden Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) und später mit der Personalrichtlinie ein Richtungswechsel zur Ökonomisierung eingetreten. Die Verweildauern wurden immer kürzer. In der stationären Neurologie wird die Schlaganfallversorgung deutlich bevorzugt. Die Psychosomatik und Psychotherapie hat ihren stationären Aufwuchs fast überwiegend in Form von stationärer psychosomatischer Rehabilitation zu Lasten der Rentenversicherungsträger genommen.

 

In allen diesen Fächern hat sich die ambulante Versorgung im vertragsärztlichen Sektor in den letzten 30 Jahren sehr breit etabliert. Das betrifft sowohl eine niederschwellige Basisversorgung als auch die hochspezialisierte Spitzenmedizin. Die Nachfrage nach ambulanter Versorgung seitens der Patient:innen steigt stetig.

 

In der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie gibt es seit 1994 die sogenannte Sozialpsychiatrie-Vereinbarung, zunächst als Sondervertrag mit verschiedenen Krankenkassen, seit 2009 verankert im Bundesmantelvertrag für alle gesetzlichen Krankenkassen. Diese ermöglicht eine multimodale, multiprofessionelle Therapie auch in den Praxen der Vertragsärzt:innen. Durch die persönliche Kontinuität der Praxisinhaber:innen, können Patient:innen mit schweren wie auch mit chronischen Erkrankungen über viele Jahre wohnortnah multimodale Angebote bekommen, ohne immer wieder mit neuen Ansprechpartnern konfrontiert zu sein. Eine Vernetzung mit den verschiedenen beteiligten Institutionen innerhalb des SGB V, aber auch darüber hinaus mit Schulen, Kitas oder Jugendhilfe u.a. ist hier längst Realität. Dies kann weiter ausgebaut werden und sollte intensiv genutzt werden, wenn man die Ambulantisierung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie weiter voranbringen will.

 

Forderungen:

Der Trend zur Kommerzialisierung im Gesundheitswesen muss gestoppt werden. Börsennotierte Kapitalgesellschaften eignen sich aus der Sicht der Versorgungssicherheit nur sehr eingeschränkt als Träger.

Im vertragsärztlichen Bereich können Gesichtspunkte der unterschiedlichen Leistungserbringer zu wenig strukturiert zusammengeführt werden.

Die ambulante Versorgung muss weiter ausgebaut und gefördert werden. Hier muss der vertragsärztliche Sektor künftig gegenüber dem Krankenhaussektor auf Augenhöhe agieren können.

Leitliniengerechte Behandlung fordert insbesondere bei schwer und komplex Kranken eine abgestimmte multiprofessionelle Versorgung – diese ist vor allem im stationären Setting etabliert: Stationen, Tageskliniken und PIAs sind mit Ärzt:innen, psychologischen Psychotherapeut:innen, Sozialpädagog:innen, mitunter auch mit Physio- und Ergotherapeut:innen sowie anderen Spezialtherapeut:innen ausgestattet. Dies gilt es, auch und vor allem in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgungsebene massiv auszubauen.

Die bisherigen aus dem Krankenhaussektor heraus entwickelten gesetzlich vorgesehenen Strukturen für eine ambulante Versorgung (PIA, PsIA, StäB) waren bisher nicht in der Lage, die Versorgung zu verbessern und den enormen Versorgungsdruck abzufangen.

Im vertragsärztlichen Bereich müssen Strukturen der Kooperation und Spezialisierung geschaffen werden (z. B. Schwerpunktpraxen, Kompetenzzentren).